Denken Sie, das können Sie mir beschaffen?

84 Charing Cross Road Cover

© Foto: Bettina, 2014

Zwei Begegnungen mit 84 Charing Cross Road von Helene Hanff brauchte es, um mich zum Lesen zu bewegen. Auf der Buchmesse habe ich noch ganz entzückt ein Foto des Covers gemacht, um das kleine Buch bloß nicht zu vergessen. Besagtes Foto verschwand dann, wie zu erwarten war, im bodenlosen Archiv der digitalen Bilder. Ganz umsonst war die Mühe jedoch nicht, denn beim Besuch der Buchhandlung klingelte beim erneuten Anblick dieses leuchtenden Gelbs etwas im Hinterkopf. Gut so!

Die Schriftstellerin Helene Hanff hat ein Problem. Sie sucht Bücher. Nicht irgendwelche Bücher. Ganz bestimmte sollen es sein und diese in besonders schönen, jedoch bezahlbaren Ausgaben. Englische Literatur, Klassiker, Essays … eine ganze Liste hat sie schon angesammelt. Nur wird sie in ihrer Heimat New York einfach nicht fündig. Da liest sie die Annonce der Buchhandlung Marks & Co in London, die antiquarische Bücher verkauft und versendet. Prompt schreibt sie einen Brief nach England, erzählt von ihren Problemfällen und wartet ungeduldig auf Antwort. Diese kommt in Form eines Pakets mit den begehrten Büchern und einem Brief vom Antiquar Frank Doel. Daraus entwickelt sich ein reger Briefwechsel zwischen den beiden, der sich bald auf die ganze Belegschaft der Buchhandlung ausweitet, von 1949 bis 1968 mehrere Jahrzehnte andauert und in diesem Buch versammelt ist.

Früh wird Helene bewusst, dass im immer noch kriegsgebeutelten England Lebensmittel rationiert werden. So schickt sie bald zu Weihnachten und Ostern Pakete voller Eier und Schinken. Damit beginnt sie eine Tradition, durch die sie endgültig von allen in der Buchhandlung ins Herz geschlossen wird. Glückwünsche werden geschickt und empfangen, Einladungen ausgesprochen, Familienmitglieder vorgestellt und Wahlen diskutiert. Oft aber dreht sich alles um die heißgeliebten Bücher, verehrte Autoren und allerlei Meinungen dazu. Denn die Leidenschaft für Literatur und die Wertschätzung der Kunst des Büchermachens verbindet Helene und Frank.

Der Leser begleitet durch die Briefe, die fleißig zwischen London und New York verschickt werden, Helene und Frank bei der langsamen Entwicklung einer tiefen Freundschaft. Und das obwohl hier zwei sehr verschiedene Menschen aufeinandertreffen. Auf der einen Seite die stürmische, lebhafte Amerikanerin und auf der anderen der zurückhaltende, eher formelle Brite. Ich habe mich köstlich über Helenes kleine Witze auf Kosten dieser Förmlichkeit amüsiert und mit Freude die kleinen Veränderungen über die Jahre des Briefeschreibens beobachtet. Unterschreibt Frank am Anfang seine Briefe noch kurz mit FPD wird daraus nach einer Weile Frank Doel, auf Wunsch wird Helene von Madam zu Fräulein und irgendwann ist er einfach nur noch Frankie für Sie.

Die Geschichte wurde glücklicherweise nicht nur als Buch, sondern unter anderem auch als Theaterstück und Film umgesetzt. Besonders gespannt war ich allerdings auf die englische Hörbuchversion und dann auch vollkommen eingenommen von der gelungenen Umsetzung. Hier hört man Helene in breitem amerikanischen Englisch wild und überschwänglich erzählen, während Frank in gediegenem, britischen Englisch leise lächenlnd und sanft antwortet.

84 Charing Cross Road schafft es, eine erstaunlich liebenswerte, charmante und witzige Geschichte zu erzählen – ohne dabei ins Rührselige oder Kitschige abzugleiten. Die Menschen sind hier so lebendig und real, dass ich mich am Ende des Buches schon fast einsam ohne sie gefühlt habe. Kein Wunder: sind die Briefe doch eine Sammlung tatsächlich verfasster Briefe zwischen der wirklichen Autorin Helene Hanff und dem leibhaftigen Antiquar Frank Doel der Buchhandlung Marks & Co in der besagten 84 Charing Cross Road. Helene Hanff ist eine ausgesprochen schlagfertige, aber sympathische Schreiberin und hat mich immer wieder mit ihren Bemerkungen, Ausbrüchen und kleinen Sticheleien zum Schmunzeln gebracht. Frank dagegen schreibt ihr sehr ruhige und nuancierte Briefe und versteckt doch den ein oder anderen Scherz darin. Als Büchermensch fühlt man sich hier verstanden und gut aufgehoben. Bleibt eigentlich nur, jemanden zu finden, der einem auch solche Briefe schreibt.

Bettina

Autorin: Helene Hanff
Buchtitel: 84 Charing Cross Road
Verlag: Atlantik Verlag

5 Gedanken zu “Denken Sie, das können Sie mir beschaffen?

  1. dj7o9 schreibt:

    ohhh das ist eines meiner liebsten Bücher – es ist ganz und gar wundervoll. Mein liebstes Zitat ist dieses: “If you happen to pass by 84 Charing Cross Road, kiss it for me? I owe it so much.”

    Tolle Besprechung – danke ! Eine ausgesprochen hübsche Ausgabe hast Du da, ich werde fast ein wenig neidisch 😉

    • Bettina schreibt:

      Mir war zu Beginn gar nicht bewusst, dass es vor dieser herrlich gelben Schönheit noch andere Ausgaben gab. Dann hab ich sie mir angesehen und mir ein weiteres mal gratuliert gerade diese Sonderausgabe gekauft zuhaben.

      Eine meiner Lieblingsstellen im Buch ist, als sich Helene bei Frank darüber beschwert, dass für ihr bestelltes Buch doch tatsächlich die Seiten eines anderen Buches als Verpackung zweckentfremdet wurden … Und diese Seiten dann noch nicht einmal vollständig sind!

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