
© Foto: Katrin, 2016
Nicht nur in Karos Bücherregal finden sich etliche Heftchen mit Klasse. So beeinhaltet meine eigene feine Sammlung Das Fräulein von Scuderi, ebenfalls eine Geschichte von E.T.A. Hoffmann. Noch ganz genau habe ich in Erinnerung, wie ich das Heft vor etlichen Jahren in der Bücherstube Zeiger in Kamenz aus dem Regal zog. Mir war schlichtweg etwas langweilig und ich suchte Lesestoff für die Busfahrt nach Hause. Eine hochwohlgeborene ältere Dame, die im Paris des 17. Jahrhunderts einem unheimlichen Raubmörder auf die Spur kommt? Mehr brauchte es nicht, um mich zu überzeugen.
Zentrales Motiv ist eine grausige Mordserie in Paris zur Zeit von König Ludwig, dem XIV. Die ganze Stadt hält den Atem an, da nächtens wiederholt Kavaliere überfallen werden, die auf dem Weg zu ihren Geliebten sind. Ihrer Juwelen beraubt enden sie meist durch einen gezielten Messerstich in die Brust. Als der König ein Bittschreiben der Liebhaber erhält, doch bitte für mehr Sicherheit in der Stadt sorgen zu lassen, kommentiert das Fräulein von Scuderi, eine 73-jährige Dichterin an seinem Hofe, dies mit den trockenen Worten:
Un amant qui craint les voleurs, n’est point digne d’amour.
Das Fräulein von Scuderi, E.T.A. Hoffmann, S. 16
Das geistreiche Bonmot „Ein Liebhaber, der Diebe fürchtet, ist der Liebe nicht würdig.“ nimmt König Ludwig XIV auf Anhieb für die Scuderi ein. Kurz danach weckt eines Nachts ein aufgebrachter junger Mann den gesamten Haushalt der Dame mit seinen drängenden Bitten um Hilfe und drückt ihren Bediensteten in seiner Not ein Kästchen in die Hand. Darinnen befindet sich ein köstliches Geschmeide, das dem Fräulein fortan die Ruhe raubt. Nur dunkel ahnt sie, dass die unvergleichlich gearbeiteten Juwelen einen wahrhaft hohen Preis haben und mit den jüngsten Morden in Zusammenhang stehen …
Die deutsche Kriminalnovelle ist mit ihren 56 Seiten ein leckeres Häppchen für Zwischendurch und bietet einen temporeichen Auftakt. Bereits auf der ersten Seite wird die Aufmerksamkeit des Lesers von einem Rätsel gefesselt. Erst im Laufe der Geschichte erschließen sich dessen Puzzleteile in wiederholten kleinen Rückblenden und lassen Zweifel an der Redlichkeit verschiedener Figuren aufkommen. Am Rande des eigentlichen Geschehens um die Mordfälle steht mit dem Fräulein von Scuderi eine würdige, gutherzige Dame, deren Geisteshaltung und Scharfsinn ihr von allen Seiten Respekt eintragen. Und hier kommt der Clou an der Geschichte: Madeleine de Scudéry hat es tatsächlich gegeben. Sie lebte von 1607 bis 1701 und zählt zu den wichtigsten französischen Schriftstellern des 17. Jahrhunderts. Selbst die Figur des gesuchten Serienmörders beruht auf Fakten, denn in Venedig gab es zur damaligen Zeit einen ganz ähnlichen Fall.
Auf den ersten Blick durchaus mit der Figur von Miss Marple vergleichbar, wird das Fräulein von Scuderi zunächst lediglich durch die Umstände in den Mittelpunkt gerückt. Als sie schließlich selbst aktiv wird, sorgt das wieder für Ausgeglichenheit und die Protagonistin wirkt noch interessanter. Das Fräulein von Scuderi ist in gut verständlichem, allerdings leicht gestelztem Ton verfasst, wobei das hervorragend zu Schauplatz und Inhalt der Geschichte passt. Die Auflösung des Falles erfolgt ganz zum Schluss im Gespräch mit einem Hauptverdächtigen, was zwar die Erzählung entschleunigt, mir jedoch besonders gefällt. Insgesamt kann ich dieses spannende und unterhaltsame Hamburger Leseheft nur empfehlen – einfach, weil es unter all den Klassikern mal etwas aus dem Rahmen fällt.
Autor: E.T.A. Hoffmann
Buchtitel: Das Fräulein von Scuderi (57. Heft)
Verlag: Hamburger Lesehefte Verlag