
© Foto: Karoline, 2017
Als ich auf der Frankfurter Buchmesse 2016 den Roman Der Garten der Abendnebel in die Hand nahm, war ich sofort begeistert über meine Entdeckung. Natürlich musste es in meinem Regal landen, denn wann hat man schon mal die Gelegenheit malaysische Literatur zu lesen?
Die angesehene Richterin Teoh Yun Ling zieht sich aus ihrem Beruf zurück, nachdem eine seltene Form der Demenz bei ihr festgestellt wurde. Die ihr verbleibende Zeit möchte sie gerne im malaysischen Hochland verbringen. Dort, inmitten des Dschungels und der Teeplantagen, erbte sie einst ein Haus mit einem wunderschönen japanischen Garten. Aus Angst sich eines Tages an nichts mehr erinnern zu können, beginnt sie in der Abgeschiedenheit ihre Memoiren zu Papier zu bringen.
Die Geschichte Yun Lings baut auf drei verschiedenen Zeitachsen auf. Die erste dreht sich rund um ihre traumatischen Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg, als Yun Ling zusammen mit ihrer Schwester von den Japanern in ein geheimes Lager verschleppt wurde. Was sie dort erlebte und wieso sie nach all den Jahrzehnten die dortigen Geschehnisse nicht vergessen kann, erfährt der Leser erst nach und nach. Die zweite Zeitachse beschäftigt sich mit der Nachkriegszeit. Nachdem Yun Ling bei der Verurteilung der Kriegsverbrecher half, möchte sie nun den innigsten Wunsch ihrer Schwester erfüllen und ihr zu Ehren einen Garten anlegen. Dafür geht sie in die Lehre beim berühmten kaiserlichen Gärtner Aritomo. Dieser hat seiner Heimat Japan den Rücken gekehrt und versucht in den Bergen Malaysias den perfekten Garten zu gestalten. Doch auch er hat einige Geheimnisse in seiner Vergangenheit, die erst mit der Zeit ans Licht dringen. In der dritten Zeitachse, die sich der Gegenwart widmet, beginnt Yun Ling ihr Leben und das des vor Jahren verschwundenen Aritomos zu ordnen. Sie empfängt einen Kunstkenner, der ein Buch über den berühmten Gärtner schreiben möchte und erinnert sich immer wieder an die alten Zeiten.
Neben der bis ins kleinste Detail ausgeklügelten Geschichte kann Der Garten der Abendnebel mit einer wunderschönen bildhaften, aber nicht zu kitschigen Sprache brillieren.
Ich bin ein sterbender Stern, der alles, was ihn umgibt, auch das Licht, in eine stetig wachsende Leere hineinzieht.
Tan Twan Eng , Der Garten der Abendnebel, S. 40
Manche Sätze wie diesen, musste ich direkt mehrmals lesen, so sehr faszinierten mich die Formulierungen. Im Text eingearbeitet sind viele japanische und malaysische Begriffe, die in einem Glossar im Anhang kurz erläutert werden. Dies verleiht der Geschichte einerseits einen besonderen Charme und Authentizität, andererseits ist das Verzeichnis doch sehr rudimentär geraten, sodass ich häufig vergebens nach hinten blätterte und doch keine Erklärung für den mir unbekannten Begriff fand.
Neben der Sprache zieht sich auch das japanische Gartengestaltungsprinzip der Geborgten Landschaft wie ein roter Faden durch das komplette Buch. Dieses Gleichnis sagt, dass die umliegende Landschaft, etwa Berge, Schlösser oder Häuser, als dekorativer Bestandteil des eigenen Gartens dienen können und bei der Gestaltung berücksichtigt werden sollten. Ganz ähnlich empfand ich dieses Prinzip bei Aritomo und Yun Ling, die sich beide anfänglich nur selbst sahen und lernten, den anderen in ihr Leben und ihr Denken mit einzubeziehen.
Mit Yun Ling als Heldin hat der Autor Tan Twan Eng eine emanzipierte, eigensinnige Frau geschaffen, die trotz aller schrecklichen Erlebnisse den Kopf immer hoch erhoben hält und sich nicht unterkriegen lässt. Trotzdem ist sie nicht kalt wie Stein, denn auch ihre empfindliche, verletzliche Seite wird häufig genug thematisiert. Mit ihrer Standfestigkeit und einem feinen Humor hat sie alle ihre bisherigen Lebenslagen meistern können.
Oft habe ich das Gefühl, dass ich durch das viele Lesen abgestumpft bin. Zu häufig erscheint mir eine Geschichte austauschbar, die Helden platt und die Sprache gekünstelt. Man hat eben genug Vergleichsmöglichkeiten und einen wachsenden Anspruch. Der war jedoch bei dieser Perle der Literatur Gold wert. Denn Der Garten der Abendnebel verstand es, mich von der ersten bis zur letzten Seite in seinen Bann zu ziehen.
Autor: Tan Twan Eng
Buchtitel: Der Garten der Abendnebel
Übersetzung: Aus dem Englischen von Michaela Grabinger
Verlag: Droemer Verlag
Das Buch hört sich interessant und auch etwas „zauberhaft“ an. Hab es mir jetzt bestellt!😊
Du hast recht: Manchmal hab ich auch das Gefühl, dass das Lesen von 08/15-Buechern einen irgendwie stumpf macht, nicht fordert.
Bin nun gespannt, wie “ Der Garten der Abendnebel“ (allein schon der Titel klingt schön) auf mich wirkt!
Danke Karo, dass du auf dieses Buch aufmerksam gemacht hast!
Liebe Grüße
Oh, da freu ich mich sehr, wenn ich dich inspirieren konnte, liebe Melly! Ich bin sehr gespannt wie es dir gefällt!!! Die Sache mit dem Abstumpfen fällt mir schon länger auf, es ist gut zu wissen, dass es auch anderen so geht. Man entwickelt eben auch einen Riecher für besondere Bücher.
Gute Sache! Ich habe mal für ein paar Monate in Malaysia gelebt, muss allerdings zu meiner Schande gestehen, noch nie einen malayischen Autoren gelesen zu haben. Kann ich nun nachholen – besten Dank für die Inspiration!
Sehr gerne doch:) bei mir war das auch der pure Zufall, sonst gibt es kaum Autoren, die ins Deutsche übersetzt wurden. Mich würde ja mal interessieren, ob du anhand der Stimmung des Buches die malaysische Mentalität wieder erkennst. Hast du in KL gelebt oder eher ländlich?
In Georgetown auf Penang. Also schon recht urban. Das mit der Mentalität ist so eine Sache – ich weiß nicht, ob ich das beurteilen kann. Aber ich schaue mal, ob ich irgendetwas wiederfinde 🙂
Ja, ich freu mich, wenn du mich dran teilhaben lässt. Das Buch hat so eine Laune auf das Land gemacht, allein die Beschreibung des Dschungels und der Teeplantagen… Stell ich mir (zuhause, auf meiner Couch) so malerisch vor! Bei der Mentalität hab ich so bei mir gedacht, dass es doch etwas offener/westlicher ist als bei den Japanern bspw.
Ja, malerisch ist es auf jeden Fall. Dschungel und Teeplantagen sind wirklich großartig. In Japan war ich nie, aber die Japaner die ich kenne sind sehr offen. Aber so richtig westlich ist Malaysia auch nicht. Verstehen sich schon als muslimisches Land. Aber was in Georgetown regiert definitiv die Freude am Essen. Und das Essen fehlt mir auch am meisten.
Oh ja, das glaub ich sofort. Hast du denn auch Schwalbennester probiert? Die werden als Delikatesse beschrieben.
Nein, nie gehört. Meine Favoriten sind Laksa und Durian
Die kenn ich gar nicht, muss ich mich direkt mal belesen:)
Durian kannst du teilweise in der Tiefkühlabteilung von Asialäden kaufen und für Laksa gibt’s da auch ein Fix, aber frisch ist es natürlich besser
Sehr cool, da muss ich direkt mal in der Innenstadt gucken. Frisch ist so ne Sache, irgendwie gibt es selbst in der Großstadt wenige bis gar keine, die das anbieten^^ obwohl ich schon begeistert bin, dass es hier eine Ramen-Bar gibt!
Wenn du Ramen magst, kann ich dir den Film Tampopo empfehlen. Aber klar, in den Ursprungsländern schmeckt es natürlich immer am besten.
Danke für den Tipp, ist direkt mal in meinem Wagenkorb gelandet 😉 hört sich fantastisch an!
Ja, ich mag den Film sehr – viel Spaß beim Anschauen!
Tampopo: check! Hab ihn zum Geburtstag geschenkt bekommen und fand ihn wirklich toll. Da bekommt man dann definitiv Hunger auf ne gute Nudelsuppe, und wie genussvoll sie da immer geschlürft wird… Hach, danke dir für diesen tollen Tipp!