
© Foto: Markus, 2017
Als feststand, dass für den Ländermonat Mai Neuseeland im Mittelpunkt steht, habe ich mich zunächst für den Paul Cleave-Thriller Haus des Todes entschieden, den ich bereits vor einigen Jahren in der Buchhandlung meines Vertrauens erstand. Leider bin ich sowohl damals als auch heute nicht über die Seite Fünfzig hinausgekommen, da das Buch augenscheinlich auf einer Reihe basiert. Somit hatte ich ständig das Gefühl, dass mir wesentliche Informationen zu den handelnden Personen fehlen, die in Paul Cleaves früheren Geschichten vorgekommen sind. Deshalb habe ich mich auf die Suche nach anderen Titeln von ihm begeben, die übrigens allesamt in seiner Geburtsstadt Christchurch, Neuseeland spielen. Dabei bin ich auf seinen neuesten Thriller Zerschnitten gestoßen, der eine von den anderen Büchern vollkommen unabhängige Geschichte über einen demenzkranken Autor erzählt, dem mehrere Morde zur Last gelegt werden.
Unter dem Pseudonym Henry Cutter hat der Autor Jerry Grey über ein Dutzend Thriller geschrieben und dabei in seiner Fantasie viele Menschen getötet. Nun behauptet der inzwischen an Demenz erkrankte 50-Jährige, dass er diese Morde auch tatsächlich begangen hat. Doch alle glauben, dass es sich dabei nur um Wahnvorstellungen aufgrund seiner Krankheit handelt, die bereits so weit fortgeschritten ist, dass er in einem Altersheim weit abgeschnitten von der Zivilisation lebt. Bereits mehrfach ist er aus dem Heim entkommen und hat Ausflüge unternommen, an die er sich nicht mehr erinnern kann. Seine Frau und seine Tochter haben sich aus ihm unbekannten Gründen von ihm losgesagt. Und auch die Fähigkeit zu unterscheiden, ob er nun der Autor Henry Cutter oder die Privatperson Jerry Grey ist, verschwimmt immer mehr. Als in Jerrys Umgebung plötzlich genau zu dem Zeitpunkt Morde verübt werden, als er verschwunden ist, wird die Polizei auf ihn aufmerksam …
Die Prämisse, dass ein Autor nicht mehr zwischen der eigenen Person und seinem Pseudonym unterscheiden kann, hat mich sehr an Stephen Kings Roman Stark – The Dark Half erinnert. Kein Wunder, ist Paul Cleave doch ein bekennender Stephen King Fan. Nur werden in Zerschnitten die übernatürlichen Elemente komplett außen vor gelassen. Sowieso wirkt der Thriller im ersten Drittel mehr wie ein Drama über einen Menschen, der versucht mit seiner voranschreitenden Demenz umzugehen. Und hier finde ich Zerschnitten, der im Original viel treffender Trust no one heißt, am stärksten. Wie Jerry trotz zunehmender Vergesslichkeit und Unsicherheit versucht, mit der voranschreitenden Demenz umzugehen, hat mich sehr berührt. Zudem fand ich es sehr passend, dass Paul Cleave die Form des unzuverlässigen Erzählers gewählt hat. Da die Geschichte größtenteils aus Jerrys Sicht geschrieben ist, wird seine Verfassung auch auf den Leser übertragen und er weiß auch wie der Protagonist nicht, was Realität und was Fiktion ist.
Stilistisch ist die Geschichte zweigeteilt. Jedes Kapitel besteht sowohl aus einem Abschnitt, der in der Gegenwart spielt und Jerrys derzeitigen Aufenthalt im Altersheim beschreibt, als auch einen Teil, der Jerrys Aufzeichnungen in seinem „Protokoll des Wahnsinns“ beinhaltet. Diese beginnen einen Tag nach der vom Arzt gestellten Diagnose auf Demenz. Hierin hält Jerry die Geschichten fest, an die er sich gerade erinnern kann, um dem „zukünftigen Jerry“ Gewissheit zu geben, was wirklich passiert ist. Aber vor allem in diesen Aufzeichnungen wird deutlich, dass Jerry immer weniger zwischen ihm und seinem Pseudonym Henry Cutter unterscheiden kann. Diese Passagen sind gleichzeitig sehr bewegend und spannend geschrieben. Ich habe ständig mit dem Protagonisten mitgefiebert und Mitgefühl für ihn empfunden. Aber auch als der eigentliche Hauptplot beginnt, in dem Jerry mehrere Morde zur Last gelegt werden, ist weiterhin fesselnd.
Leider wird die sehr stark aufgebaute Geschichte nach und nach zu einem herkömmlichen Krimi, dessen Auflösung meiner Meinung nach leider spätestens nach etwas über der Hälfte des Buches sehr vorhersehbar ist. Ich habe inständig gehofft, dass der Autor zum Ende hin noch eine clevere Wendung einbaut, aber die kam leider nicht wirklich. Hinzu kam ein sehr abruptes Ende, so als wolle der Autor schnell mit dem Text fertig werden. Hier hätte ich mir etwas mehr Hintergrundinformationen gewünscht.
Nach einem vielversprechenden Beginn, der mehr ein packendes Drama, als ein Thriller war, wurde Zerschnitten mit zunehmender Seitenzahl für mich leider zu vorhersehbar. Auch kam zumindest in diesem Buch kein regionaler Bezug auf, obwohl seine Romane ja in der neuseeländischen Stadt Christchurch spielen. Für mich wirkte es wie ein herkömmlicher amerikanischer Thriller. Etwas mehr Lokalkolorit hätte ich für gut empfunden.Dabei kann ich aber nicht für seine früheren Romane sprechen. Trotzdem kann ich Zerschnitten aufgrund seiner originellen Grundidee und seiner tollen Erzählweise jedem Krimi-Fan ans Herz legen.
Autor: Paul Cleave
Buchtitel: Zerschnitten
Übersetzung: aus dem Englischen von Frank Dabrock
Verlag: Wilhelm Heyne Verlag
Ein Gedanke zu “Aus dem Protokoll eines Demenzkranken”