Heimat ist, wo du Wurzeln schlägst

© Foto: Katrin, 2019

Unter uns die Nacht ist ein wunderbar passender Titel für Becky Chambers dritten Roman aus dem Wayfarer-Universum. Mittlerweile sollte es kein Geheimnis mehr sein, dass mein Herz für Science Fiction schlägt.Besonders gefällt es mir, wenn am Ende nicht alles in Schutt und Asche liegt, sondern es um Personen geht und wie sie in ihrer Umgebung klarkommen. So knüpft auch diese Geschichte lose an die Vorgänger-Bände an und wartet mit völlig neuen Protagonisten auf. Also traut euch und folgt mir dieses Mal zu den Menschen der Exodus-Flotte .

Nachdem die Flotte menschlicher Flüchtlinge Kontakt zu anderen Rassen im Universum aufgenommen hat, kreist sie nun bereits seit Jahrzehnten um eine fremde Sonne. Dort dürfen die Menschen mit ihren Schiffen dauerhaft vor Anker liegen, nachdem sie ihre eigene zerstörte Heimatwelt hinter sich gelassen haben. Mittlerweile sind viele Bewohner von Bord gegangen und haben sich als Siedler auf anderen Planeten niedergelassen. Sie haben ein Leben mit festem Boden unter den Füßen vorgezogen und versuchen sich inmitten anderer Rassen etwas aufzubauen. Daher ist es auf den Raumstationen leer geworden. Die Verbliebenen sind echte Weltraumbewohner, die Station ist ihre Heimat. Nach einem dramatischen Unglück auf einem der Generationenschiffe stehen nun alle vor der Frage, wie ihre Zukunft aussehen soll. Ist das Leben auf den Siedlerschiffen und deren über Generationen gewachsene Kultur überholt oder noch immer eine lebendige, echte Alternative für die Menschen?

Was unterscheidet diesen Roman von den beiden anderen? Besonders ist mir aufgefallen, dass dieses Buch im Kern ein Gesellschaftsroman ist. Er schildert das Leben in der Flotte, erklärt die Denkweise der Bewohner, ihre Lebensweise und ganz alltäglichen Vorkommnisse. Wir erfahren etwas über Ängste, Träume, Probleme und Hoffnungen der fünf Protagonisten auf der Raumstation. Durch jeden von ihnen wird ein eigener Aspekt betont.

Tessa, die Schwester von Kapitän Ashby aus dem ersten Band, fragt sich nach dem großen Unfall, ob ihre Kinder auf der Station noch sicher sind. Sie selbst liebt das Leben in der Flotte, aber ist es das Richtige für ihre Familie? Sawyer ist ein Kolonist und hat keine Angehörigen mehr. Er fühlt sich nirgendwo zugehörig und hofft, auf den Schiffen seiner Vorfahren ein neues Zuhause zu finden. Eyas ist um die 30 und hadert mit ihrer Berufung als Bestatterin. Zu häufig wird sie voller Ehrfuchrt behandelt, eher wie ein lebendiges Symbol der Flottenkultur, denn als eigenständige Person. Der 16-jährige Kip hingegen kämpft mit seiner Berufswahl. Er tingelt von einem Praktikum zum nächsten, kann sich aber für nichts entscheiden. Soll er auf den Flotten bleiben oder lieber ein Studium auf einem anderen Planeten beginnen? Zum Schluss ist da noch  Isabel. Sie bewahrt als Archivarin seit vielen Jahrzehnten die Geschichte der Menschen und steht in regem Austausch mit einer harmagianischen Kollegin. Als diese die Exodus-Flotte besucht, sieht Isabel ihr Zuhause mit ganz neuen Augen.

Mir gefiel die Idee dieses eher leisen, unaufgeregten Buches. Hier wird einfach die Idee erforscht, wie es mit der Menschheit weitergehen könnte, wenn sie gezwungen ist, von ihrem Heimatplaneten zu fliehen. Alte Fehler sollen nicht wiederholt, keine Ressourcen mehr verschwendet werden. Dieser Grundgedanke ist gleichsam Manifest und Kultur der Flotte. Jeder Mensch ist Teil der Flotte – im Leben, wie auch im Tod. Ein interessanter Aspekt ist, dass  auf den Siedlerschiffen ein bedingungsloses Grundeinkommen garantiert ist und noch immer Tauschhandel betrieben wird. Das erschwert den Umgang mit hoch entwickelten Rassen, denn dadurch verfügen die Bewohner kaum über Geldmittel und sind als Handelspartner uninteressant. Hinzu kommt, dass die Siedlerschiffe gerade in der Anfangszeit nicht autark überleben konnten und von der technischen Entwicklung der anderen Rassen profitiert haben. Obwohl sie sich im Laufe der Zeit davon emanzipiert haben und ihre Kinder zur Ausbildung auch auf benachbarte Planeten senden, werden sie von deren Völkern teilweise als rückständig angesehen.

Die geschilderte Gesellschaft mag nicht perfekt sein, aber ich fand es schön zu lesen, dass sie funktioniert. Am Anfang kam ich nicht so recht in die Geschichte hinein, da sie zwischen fünf Erzählperspektiven wechselt. Allerdings gibt sich das im Verlauf der Handlung, wenn die Autorin ihre Protagonisten teilweise zusammenführt. Dieser Roman hat noch einen etwas anderen Tonfall als Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten oder Zwischen zwei Sternen. Er liest sich streckenweise nahezu dokumentarisch und fühlt sich realistischer an. Wenn ich es kurz zusammenfassen müsste, würde ich Unter uns die Nacht als „geerdete Science Fiction“ bezeichnen. Die Autorin hatte mich am Ende davon überzeugt, dass das Leben auf Generationenraumschiffen genau so aussehen könnte. Wenn sie uns in der Zukunft noch mehr aus dem Wayfarer-Universum zu erzählen hat, werde ich das in jedem Fall lesen.

Katrin

Autorin: Becky Chambers
Buchtitel: Unter uns die Nacht
Übersetzung: aus dem Amerikanischen von Karin Will
Verlage: FISCHER Tor

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