
© Bild: Bettina, 2019
Als noch recht ungeübtes Mitglied der Büchergilde Gutenberg werde ich jedes Vierteljahr wieder vom anstehenden Pflichtkauf aus dem Programm der Buchgemeinschaft überrumpelt. Ist es mal einfach im Angebot ein Buch zu finden, das mein Interesse weckt, blättere ich ein andermal etwas lustlos durch den Katalog. Als ich zuletzt in derart unmotivierter Laune ein Buch aussuchte, fiel meine Wahl auf Wolkenbruchs wunderliche Reise im die Arme einer Schickse von Thomas Meyer. Bei einem unter diesen Vorzeichen erstandenem Buch waren die Aussichten auf große Lesefreude nicht gerade rosig. Doch schon bevor ich die Geschichte überhaupt zu Ende gelesen hatte, waren wohl alle in meinem Umfeld Opfer meiner Begeisterungsschwalle geworden. Jedem Leser dieser Zeilen kann ich sie daher genausowenig vorenthalten.
Mordecai Wolkenbruch, genannt Motti, ist noch Student in Zürich, als seine Mutter ganz unmissverständlich mitteilt, dass es nun für ihn langsam an der Zeit ist sich eine Ehefrau anzuschaffen. Denn so geht das Leben eines guten Juden nun einmal: Er wird geboren, beschnitten, feiert Bar Mitzwah, heiratet eine gute Jüdin, bekommt reichlich Kinder und stirbt schlussendlich. Mir nichts dir nichts bekommt Motti also in einigen arrangierten Treffen wohl jedes Mädchen aus dem Umfeld der Familie im passenden Alter vorgesetzt, kann sich aber mit keiner wirklich anfreunden. Stattdessen verknallt er sich in Laura aus der Uni, die ausgerechnet eine Schickse ist, eine Nicht-Jüdin. Schritt für Schritt kommt er ihr näher und lässt dabei immer mehr sein altes Ich zurück.
Thomas Meyer gelingt in Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse eine derart gute Kombination aus Drama und Komödie, wie ich sie bisher selten gelesen habe. Als Motti beginnt, sich vom Leben und den Traditionen seiner orthodoxen Familie zu entfernen, wird dem Leser ziemlich schnell klar auf welche Klippen er zusteuert. Dem unnachahmlichen Witz der Geschichte tut das jedoch keinen Abbruch. Jede Zeile des Textes ist geprägt von Mottis humorvollen Beobachtungen und der trockenen Situationskomik, die mich beide regelmäßig laut auflachen ließen. Da werden Vorurteile auf die Schippe genommen, wirre Familienzusammenkünfte nacherzählt und Pläne zur Umgehung der mütterlichen Heiratswut geschmiedet. Das macht Motti als Protagonisten unheimlich sympathisch und es wird gleichzeitg immer wieder deutlich, wie wohlwollend der Autor seinen Figuren gegenübersteht. Andererseits gibt es der Geschichte einen ganz eigenen Ton.
Diesen eigenen Ton verstärkt Thomas Meyer dann umso mehr, indem er zu einem ungewöhnlichen Mittel greift. Denn zu meiner Überraschung musste ich feststellen, dass Motti seine Erlebnisse in einer von Jiddisch durchsetzten Sprache erzählt. Die ließ sich für mich, ähnlich einem Text in Dialektform, wunderbar lesen sobald ich mir sie gesprochen vorstellte. Daraufhin schienen mir prompt alle Personen lebendiger und der Humor gleichzeitig witziger. Wer es ganz genau wissen will, kann einzelne jiddische Wörter im Glossar des Buches nachschlagen, doch fast alles lässt sich ohne Probleme im Kontext verstehen.
Obwohl einige Elemente des Buches wohl vielen Lesern unvertraut sind, bleibt Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse eine nahegehende und für jeden nachvollziehbare Geschichte. Motti ringt mit seinem Wunsch nach einem eigenen Leben, will selbst Entscheidungen treffen und weiß bei alledem nicht, wie weit er sich tatsächlich von den Traditionen seiner Familie entfernen will. Für mich ist es damit unter anderem ein Buch übers Erwachsenwerden, das dank seines großartigen Humors eine beneidenswerte Leichtigkeit beibehält. Meine Freude an der Geschichte ist dabei durchaus keine Einzelmeinung, war das Werk doch für den Schweizer Buchpreis nominiert und hat sich darüberhinaus auch noch ausgesprochen gut verkauft. Da ließ die Verfilmung dann nicht lange auf sich warten. Wer möchte, kann Motti also direkt nach der Lektüre bei Netflix live und in Farbe kennenlernen. Passenderweise ist kürzlich erst der nächste Band in Mottis Saga erschienen. Ich bin dann mal in der Buchhandlung …
Autor: Thomas Meyer
Buchtitel: Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse
Verlag: Büchergilde Gutenberg