Das Massaker von San Martín

© Foto: Karoline, 2020

Um uns Weltenbummler etwas auf den Sommer einzustimmen, wollten wir diesmal ein besonders heißblütiges Land bereisen. Mit Argentinien verband ich bisher gute Steaks, geflohene deutsche Kriegsverbrecher und eine am Balkon stehende Madonna, die die Evita mimt. Kurzum: Ich musste wirklich meinen Horizont erweitern! Bei meiner Recherche entdeckte ich schnell ein Buch, das schon sehr lange auf meiner Wunschliste stand: Das schwarze Herz des Verbrechens von Marcelo Figueras. Grund dafür war schlicht und einfach der Verlag, der richtig gute Western verlegt und dem ich deshalb äußerst zugetan bin. Ob Herr Figueras mit meinen raubeinigen Revolverhelden würde mithalten können?

Buenos Aires im Jahre 1956: Juan Perón ist durch einen Militärputsch gestürzt worden, aber seine Anhänger kämpfen noch immer in den Straßen der Hauptstadt. Sein Nachfolger, Pedro Aramburu, versucht mithilfe des Militärs alle Erinnerungen an Perón auszulöschen. Filme werden verboten, Kritiker unterdrückt, selbst die Namensnennung steht unter Strafe. In der Nacht des 9. Juni stürmen Soldaten ein Gebäude, in dem sich Männer zum gemeinsamen Hören des Sportradios versammelt haben. Sie alle werden in einem Bus abtransportiert, auf eine Müllhalde gebracht und gnadenlos erschossen. Doch die Schützen waren nicht sorgfältig: ein junger Mann überlebt und verklagt nun das Regime. Als der junge Schriftsteller R diese Geschichte hört, kann er förmlich den Ruhm riechen: ein riesiger Skandal internationalen Ausmaßes und er hat die Gelegenheit ihn bekannt zu machen! Doch von Anfang an gibt es Probleme. Je mehr er mit seiner jungen Kollegin Muñiz beginnt die Geschichte zu enthüllen, desto gefährlicher wird die Arbeit für beide. Verleger wollen aus Angst vor Repressalien ihre Artikel nicht veröffentlichen, Kollegen werden entführt und selbst die eigene Familie leidet unter Einschüchterungsversuchen. Aber R hat Blut geleckt, er weiß, dass er an einer riesigen Story dran ist. Über Jahre hinweg wird sie ihn begleiten und in seinem Tatsachenroman Das Massaker von San Martín gipfeln. Doch er ahnt nicht, wie radikal er und sein gesamtes Leben sich in dieser Zeit ändern werden.

Das schwarze Herz des Verbrechens ist genau wie das Buch von R ein Tatsachenroman. Natürlich handelt es sich bei R um den berühmten Rodolfo Walsh, einen der bedeutendsten argentinischen Schriftsteller. Mit seiner Enthüllungsgeschichte in Romanform begründete er ein neues Buchgenre. Da ist es nicht verwunderlich, dass auch Marcelo Figueras seinem Idol nacheifert und seinen Roman auf die gleiche Art gestaltet. Obwohl nicht in Ich-Form verfasst, so liegt der Fokus von Anfang an auf dem großen Walsh. Auch wenn er seine menschlichen Schwächen und Fehler hat, so konnte ich mich doch gut mit ihm identifizieren und fieberte stets mit, wenn der Polizeichef wieder versuchte, ihm Steine in den Weg zu legen. Dass dabei seine Familie, d.h. seine Frau und seine beiden kleinen Töchter, auf der Strecke bleiben, ist schmerzhaft, aber wahrscheinlich unumgänglich gewesen. Leider wurde weniger Wert auf die Schicksale der Geschädigten gelegt. Einerseits ist es nur konsequent, da die Leidensgeschichte von Rodolfo Walsh beschrieben wird und der Roman sich auch ausschließlich darum drehen soll. Andererseits wurde mein Wissensdrang entfacht. Eine abschließende Bemerkung zu dem weiteren Leben der Opfer hätte mich wirklich interessiert. Immerhin waren die hinterbliebenen Familien das Herzstück von Walshs Enthüllungsroman.

Etwas verstörend war jedoch das Nachwort vom Autor, in dem er betont, dass genau diese Verhältnisse gerade wieder in seinem Heimatland vorherrschen. Die Bündelung der Medien sei so massiv, dass sie nur noch mit China oder Russland verglichen werden könne. Somit würden heutigen Journalisten ähnliche Steine in den Weg gelegt werden wie einst Rodolfo Walsh.

Nichtsdestotrotz flogen die Seiten nur so dahin, ich las bis spät in die Nacht, beim Kochen und beim Zähne putzen. Das schwarze Herz des Verbrechens ist für mich so besonders, weil es sich um einen (hier und da bereits erwähnten) Tatsachenroman handelt – etwas, das ich noch nicht häufig gelesen hatte und das ich euch nur wärmstens ans Herz legen kann. Selten war neuere Geschichte unterhaltsamer verpackt und ich kann nun endlich sagen, dass ich auch etwas über die argentinische Geschichte weiß.

Karoline

Autor: Marcelo Figueras
Buchtitel:
Das schwarze Herz des Verbrechens
Übersetzung:
aus dem Spanischen von Sabine Giersberg
Verlag: Nagel & Kimche

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