
© Foto: Bettina, 2020
Als das Jahr noch jung und weniger dramatisch war, besuchte ich zum ersten Mal jene kleine Halbinsel an der Ostsee, die gleich drei bekannte Urlaubsgebiete beherbergt: das Fischland, den Darß und Zingst. Die dortige Buchhandlung war nicht nur winzig und urig, sondern auch mit reichlich Geschichten zur Region ausgestattet. Ganz unvermittelt stach mir bei der Auswahl ein schmaler Band von Käthe Miethe mit dem schlichten Namen Das Fischland ins Auge. Damit lässt man sich doch gerne in stürmischeren Zeiten erzählerisch als Weltenbummler an die Küste versetzen.
Das Fischland lässt sich wohl am besten als kleine Heimatkunde über den schmalen Landstrich zwischen Saaler Bodden und Ostsee beschreiben. Mit Wustrow, Niehagen und Althagen enthält er kaum mehr als drei Dörfer und hat es doch zu einigem gebracht. Da lässt sich von Seefahrern und Schiffsflotten lesen, von Künstlerkolonien und Badegästen oder eben von Bauern und Fischern. Der Autorin gelingt es dabei sehr unterhaltsam Geschichtliches mit Anekdoten, mündlicher Überlieferung und ihren eigenen Erinnerungen zu verweben. Dokumente aus der Stadt Ribnitz deuten darauf hin, wie viel Ärger es immer wieder zwischen Stadt, Kloster und Fischland gab (sehr viel), Historiker berichten, wie oft Rostock den geplanten Meereshafen bei Wustrow zerstörte (sehr oft) und wie groß die Anzahl der Fossilien aus längst vergangener Zeit war, die an den Küsten gefunden wurden (sehr groß). Dieser rote Faden der Geschichte gibt dem Buch eine sanfte Struktur und unterfüttert Miethes Berichte glaubhaft.
Das bloße Herunterrattern von Geschichtsdaten kann jedoch schnell trocken werden, weshalb Das Fischland auch von Anekdoten und mündlichen Überlieferungen durchzogen ist. Hier wird klar an welche Zeiten des Umbruchs sich die Bewohner der Insel noch entsinnen können. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen, berichten in diesem Buch unter anderem Seemannsfrauen vom Leben auf dem Segelschiff, ist der Bau der Eisenbahn nach Ribnitz in lebendiger Erinnerung und die Künstlerkolonie in Ahrenshoop eine vergleichsweise neue Angelegenheit. Ein ums andere Mal musste ich schmunzeln, wenn in einer der knappen Passagen mal wieder eine vermeintliche Eigenheit der Fischländer aufs Korn genommen wird. Für die im Dialekt verfassten Zeilen hätte ich mir, rein aus Bequemlichkeit, eine Lesehilfe gewünscht. Weniger begeistert war ich zudem über in die Texte gestreuten Beschreibungen typischer Häuser oder Miethes damit verbundene Beschwerden über einige der anscheinend eher unpassenden Neubauten in den Dörfern. Hier hadert sie für meinen Geschmack etwas zu sehr mit den Veränderungen, die die Zeit und die bessere Anbindung mit sich bringen.
Zu Hochform läuft die Autorin jedoch dann auf, wenn sie über die Sommer ihrer Kindheit berichtet, die die Familie gemeinsam auf Besuch im Fischland verbrachte. Von schaurigen Gewitterabenden, spaßigen Fahrten über den Bodden, dem einzigartigen Tonnenfest und noch vielem mehr ist da die Rede. Beim Lesen verbreitet sich im Nu tiefe Sehnsucht, allerdings auch eine gewisse Wehmut, sind doch einige dieser Eigenheiten inzwischen vergessen. Als erwachsene Frau zog Miethe 1916 schließlich ganz ins Fischland. So ergänzen auch Ihre Erinnerungen an die stürmischen Herbste und kalten Winter dieser Zeit das Bild. Die Autorin erzählt von Winden, die Schnee wild durchs Dorf wehen, Schlittensegeln auf dem Bodden und Weihnachten, das singend in der beleuchteten Kirche gefeiert wird. All diese Szenen strahlen echte Wärme und eine unglaublich starke Liebe zum Fischland aus. So stark sind die Bilder, dass ich hier am liebsten alle Kapitel nacherzählen und von jeder Anekdote berichten würde. Käthe Miethe kann das aber bei weitem besser. Mir bleibt da nur, euch den Gang zur liebsten Buchhandlung oder vielleicht dem heimischen Bücherschrank zu empfehlen und Das Fischland zum Lesesessel zu tragen. Oder eben gleich selbst die Reise an die Ostsee anzutreten.
Autorin: Käthe Miethe
Buchtitel: Das Fischland
Verlag: Hinstorff Verlag