Eine junge Frau segelt allein gegen den Wind

© Foto: Karoline, 2020

Kennt ihr das? Manchmal gibt es Phasen, da möchte man gerne ein wenig melancholisch sein und verträumt in die (idealerweise verregnete) Ferne schauen. Bei mir war es mal wieder soweit, also gönnte ich mir passend zur Stimmung eine dunkle Geschichte von der Küste Englands. Meine Cousine Rachel hatte vor einiger Zeit einen bleibenden Eindruck hinterlassen und so war es mir ein Bedürfnis dieses ganz bestimmte Gefühl mit einem weiteren Buch Daphne du Mauriers heraufzubeschwören.

Für Mary beginnt ein neues Leben. Auf dem Sterbebett ihrer Mutter muss die junge Frau schwören, dass sie die gemeinsame Farm verkaufen und zu Tante Patience ziehen wird. Seit Jahren haben sie sich nicht mehr gesehen, doch ihre Tante ist die einzige Verwandte, die ihr im Leben bleibt. Also packt Mary schweren Herzens ihre sieben Sachen und begibt sich auf die Reise zu den Mooren Cornwalls, unweit der felsigen Küste. Dort in der tristen Einöde steht ein einsames Gasthaus, das ihr neues Zuhause werden soll: das Jamaica Inn. Der Empfang ist wenig herzlich: Tante Patience ist unwirsch und verängstigt, während ihr Onkel Joss Merlyn regelrecht feindselig wirkt. Nachts muss sie stets die Fensterläden geschlossen halten und darf unter keinen Umständen ihr Zimmer verlassen. Doch die Neugier packt sie und so kann sie bald erahnen, in welch düstere alkoholgeschwängerte Geschäfte ihr Onkel verwickelt ist. Dann erscheint Jem Merlyn auf der Bildfläche. Der unstete Pferdedieb ist nicht nur der Bruder des Onkels, sondern übt auch eine animalische Faszination auf Mary aus, der sie schwer widerstehen kann. Immer tiefer gerät sie in den Sumpf des Jamaica Inn, bis es kein Entrinnen mehr gibt.

Während Meine Cousine Rachel auf mich noch etwas ungeschliffen wirkte und einige Längen enthielt, so war ich bei Jamaica Inn die kompletten 345 Seiten gefesselt. Daphne du Maurier hat mit Mary eine starke Frauenfigur erschaffen, die sich auch von ihrem brutalen Onkel nicht einschüchtern lässt und mit Köpfchen durchs Leben schreitet. Zu meiner Freude waren ihre Handlungen daher auch nachvollziehbar und nicht einem schlechten Horrorfilm entsprungen. Selbst die Leidenschaft für Jem kann sie relativ nüchtern betrachten und verhält sich nicht wie ein liebeskranker Teenager. Gerade deshalb litt ich umso mehr mit ihr und war genau wie sie entsetzt, als sich das ganze Ausmaß des Alkoholschmuggels abzeichnete. So viel kann ich an dieser Stelle verraten: Der Showdown ist nichts für zarte Gemüter und erstreckt sich über einen weiten Teil des Romans. Immer wenn man denkt, dass nun der Höhepunkt erreicht ist, setzt Daphne du Maurier noch ein Sahnehäubchen drauf.

Marys zahlreichen Spaziergänge durch das tückische Moor und die dazu gehörige Folklore schufen genau die Melancholie, die ich mir so sehr wünschte. Nebel, Dunkelheit, triste Landschaft nebst zwilichtiger Machenschaften erzeugen ein Gefühl der Einsamkeit und Ohnmacht, gegen das es schier unmöglich wird anzukämpfen. Die Geschichte nahm mich ganz und gar gefangen und ließ mich wohlig schaudernd zurück. Ich freue mich jetzt schon auf das nächste Mal, wenn ich ein Buch von Daphne du Maurier in die Hand nehme. Dieser Name steht für subtilen Grusel der Extraklasse.

Karoline

Autorin: Daphne du Maurier
Buchtitel: Jamaica Inn
Übersetzung: Aus dem Englischen von Christel Dormagen und Brigitte Heinrich
Verlag: Insel Taschenbuch

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