
Für unseren Weltenbummlermonat war mir mal wieder nach einem Kinderbuch zumute. Ich entschied mich für Samir und Jonathan. Der Inhalt klang vielversprechend: ein palästinensischer Junge in einem jüdischen Krankenhaus, zwischen seinen Feinden, und im Laufe der Zeit werden diese zu Freunden.
Bei einem Fahrradunfall verletzt sich Samir sein Knie und muss operiert werden. Er lebt mit seiner Familie in einem Dorf auf der westlichen Seite des Jordans, in einem von Israel besetztem Gebiet. Für die komplizierte Operation wird er in ein israelisches Krankenhaus gebracht. Dort wird ihm mitgeteilt, dass er von einem amerikanischen Arzt behandelt wird, der erst in ein paar Tagen ankommt. Der Junge wird in einem Zimmer untergebracht, in dem noch vier andere Kinder mit unterschiedlichen Erkrankungen liegen. Während diese im Zimmer umhergehen und Schabernack treiben darf Samir sein Bett nicht verlassen. Er fühlt sich einsam, unverstanden und fehl am Platz, so allein zwischen Juden. Er unterhält sich kaum, obwohl er hebräisch sprechen kann, und wird kaum angesprochen. Eine Ausnahme bildet Jonathan, der meist in einem Buch vergraben ist und nur manchmal wissenschaftliche Fakten fallen lässt, die er kürzlich gelesen hat. Nachts, wenn nur die beiden wach sind, erzählt er Samir von den Sternen und fernen Galaxien. Obwohl sie kaum miteinander reden, entsteht zwischen beiden eine emotionale Verbindung, die Stück für Stück stärker wird.
Aufgrund des Klappentextes hatte ich Erwartungen an das Buch, welche so leider nicht erfüllt wurden. Im Nachhinein betrachtet verrät der Text zu viel von der Geschichte und vermittelt, zumindest für mich, ein falsches Bild. Die Geschehnisse werden aus Sicht von Samir erzählt, der vermutlich zwischen zehn und zwölf Jahren alt ist. Da er weder das Bett verlassen, noch viel in Interaktion mit den Zimmergenossen treten kann, beobachtet er sehr viel und macht sich seine Gedanken dazu. Durch seine lebhafte Fantasie denkt er sich Geschichten über die Kinder in seinem Zimmer aus. Er taucht auch immer wieder gedanklich in die Vergangenheit ab. So erfährt der Leser viel über seine Familie und seinen Freund und Nachbarn Adnan. Im Laufe der Geschichte baut Samir immer mehr Vertrauen zu Jonathan, der Krankenschwester Verdina und dem Pfleger Felix auf. Die Handlung wird sehr ruhig, unaufgeregt und langsam erzählt und ist immer wieder gespickt von Erinnerungen. Teilweise fand ich das sehr schön zu lesen, teilweise fand ich das Tempo zu langsam. Der Schreibstil hat durch seine Kindlichkeit gut gepasst. Nur der stets willkürliche Wechsel von Präsens und Präteritum hat mich genervt.
Mir wurde eine Geschichte von Freundschaft versprochen, ich bekam eine, in der sich eine Freundschaft ganz langsam aufbaut und in den Sternen steht, wie es mit den beiden Jungen weitergeht. Das Ende fand ich enttäuschend, dafür war das vorletzte Kapitel mein liebstes. Samir und Jonathan haben beide eine blühende Fantasie, in der sie sich zu Hause fühlen und wenn man sich darauf einlassen kann, geben sie dem Leser etwas davon ab.
Autorin: Daniella Carmi
Buchtitel: Samir und Jonathan
Übersetzung: Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer
Verlag: dtv
Ein Gedanke zu “Beginn einer ungewöhnlichen Freundschaft”