Ein etwas anderer Einblick in die Welt der Entwicklungsstörungen

© Foto: Georgia, 2016

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In einer Folge der Daily Show stieß ich zum ersten Mal auf The Reason I Jump. Jon Stewart sprach in höchsten Töne von diesem Buch. Als ich dann noch erfuhr, dass die englische Übersetzung von David Mitchell (Autor von Der Wolkenatlas) stammt, war mir klar, dass ich es unbedingt lesen muss. Unser Japan-Monat hat mir schließlich den entscheidenden Anreiz gegeben. Ich habe es definitiv nicht bereut.

Naoki Higashida (geboren 1992) ist Autist und verfasste mit dreizehn Jahren The Reason I Jump. Die Entwicklungsstörung zeichnet sich unter anderem so bei ihm aus, dass es Higashida nicht möglich ist sich über Sprache oder Schreiben verständlich zu machen. Zur Kommunikation und zum Verfassen von Texten verwendet er ein alphabetisches Raster. Auf diesem wählt er Buchstaben und Wörter aus, während eine weitere Person das Gezeigte mitschreibt. Im Jahr 2013 übersetzte Mitchell, selbst Vater eines autistischen Kindes, Higashidas Buch ins Englische. Zunächst war es eine Übersetzung für private Zwecke. Da Mitchell aber so begeistert war, endlich ein Buch über Autismus zu lesen, das weder ein Fachbuch ist, noch von Nicht-Autisten oder erwachsenen Autisten geschrieben wurde, wollte er diese Übersetzung auch anderen zugänglich machen. Zurzeit gibt es noch keine deutsche Version, die englische ist aber relativ leicht zu verstehen.

Higashida beantwortet in dem Buch Fragen zu dem Verhalten und Gedankengängen von Autisten beziehungsweise seine Gedanken im Besonderen. Autismus kann in unglaublich vielen verschiedenartigen Varianten auftreten. Es ist gut möglich, dass bei keinem anderen Menschen Autismus in der gleichen Art ausgeprägt ist wie beim Autor. Seine Antworten können somit nicht als Leitfaden für den Umgang mit allen Autisten gesehen werden. Nichtsdestotrotz geben sie Denkanstöße und Einblicke in eine Welt, die Menschen, die diese Störung nicht haben, größtenteils verschlossen ist. Neben den Fragen und Antworten tauchen ein paar von Higashida verfasste Kurzgeschichten in dem Buch auf (zum Beispiel ein Gespräch zwischen Earthling and Autisman). Das soll es an dieser Stelle auch schon zum Inhalt gewesen sein. Es ist schwer zu beschreiben, um was es genau geht. Am besten lest ihr selbst mal rein.

Es war unheimlich interessant die Gedanken von jemanden zu lesen, dem es nicht möglich ist sich über die Wege auszudrücken, die mir vertraut sind und als normal erscheinen. Es passiert bestimmt oft ungewollt, dass man Personen, die sich nicht oder nur schlecht artikulieren können als weniger intelligent betrachtet. Die Antworten, die Higashida gibt sowie seine Kurzgeschichten machten mir deutlich, dass seine Gedanken und Gefühle genauso tiefgründig, clever und empathisch wie die meinen sind, wenn nicht sogar noch mehr. Wenn er die Beweggründe erklärt, die hinter seinem Verhalten stecken, welches Außenstehenden zwanghaft vorkommt, hatte ich oft ein Aha-Erlebnis. Die Beweggründe konnte ich meist nachvollziehen und ich stellte fest, dass ich teilweise bei bestimmten Sachen ähnlich empfinde, nur in einem wesentlich geringeren Ausmaß, das mein Verhalten nicht derart dominiert. Durch das Buch konnte ich ein besseres Verständnis für Autismus gewinnen und bin wieder etwas aufgeschlossener geworden. The Reason I Jump macht einmal mehr deutlich, wie relativ einfach das Leben sein kann, wenn man zur Durchschnittsnorm gehört und bringt den Leser dazu, denjenigen mehr Geduld und Verständnis entgegen zu bringen, die durch dieses Raster fallen.

Georgia

Autor: Naoki Higashida
Buchtitel: The Reason I Jump: One boy’s voice from the silence of autism
Verlag: Sceptre

2 Gedanken zu “Ein etwas anderer Einblick in die Welt der Entwicklungsstörungen

  1. Kathrin schreibt:

    Danke für diesen (noch) Geheimtipp! Ich informiere und belese mich schon seit Jahren gerne zum Thema Autismus, leider konzentriert sich ein Großteil aber auf das Asperger Syndrom. Daher finde ich es spannend, hier mal ein Buch zu finden, das das Thema aus einem anderen Blickwinkel betrachtet.

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