Mit spitzem Pinsel durchs Leben

Kopfkissenbuch Cover

© Foto: Bettina, 2016

Gerne und oft nehmen wir bestimmte Jahre oder gar Jubiläen in Anspruch um Themen oder Personen zu feiern. Dann schreibt die Presse, der Verlag legt neu auf und Buchhandlungen allüberall trumpfen mit den entstandenen Schönheiten auf. Ab und zu nimmt das Ausmaße an, die der Einzelne kaum noch überblicken kann. Trotzdem bin ich immer wieder dankbar für diese Anlässe, denn durch sie mache ich die schönsten Entdeckungen. Hätte ich sonst, rein zufällig, das Kopfkissenbuch von Sei Shonagon gefunden? Im Leben nicht! Am Ende hatte ich das nur irgendeiner Aktion in irgendeiner Buchhandlung zu verdanken. Eben zu irgendeinem Jubiläum.

Dieses Kopfkissenbuch ist eine Zusammenstellung der feinfühligen Beobachtungen, tagtäglichen Gedanken und scharfzüngigen Notizen aus dem Tagebuch von Sei Shonagon. In den meist kurzen Abschnitten gibt uns diese sehr gebildete Frau Einblick in ihr Leben als Hofdame der japanischen Kaiserin im 11. Jahrhundert. Sie schreibt heiter von den Ausflügen kleiner Runden, den Besuchen bei Festen, religiösen Riten oder von geistreichen Gesprächen. Die hohe Gesellschaft ist ihre Welt und deren Verwicklungen ihr Alltag.

Gerade zur damaligen Zeit beschäftigt sich die Elite des Landes fast ausschließlich und intensiv mit den Künsten, der Schönheit und natürlich sich selbst. Das Dichten wird verehrt, Eleganz ist Ziel allen Strebens, Liebesaffären sind ein akzeptierter Teil des Lebens und Feinfühligkeit zeichnet einen guten Charakter aus. Jeder noch so winzige Aspekt des Miteinanders ist durchdrungen von den Idealen der Epoche. Man kann sich dabei sicher sein, dass Sei Shonagon zu jeder dieser uns heute so unbedeutend scheinenden Kleinigkeiten eine genaue Meinung hat. Wie hat ein Liebhaber die Geliebte morgens zu verlassen? Warum war der Besuch im Haus einer Dame trotz Regen ein Erfolg? Und wie um Himmels willen zieht man sich für eine Gedichtefeier im Sommer an? Nur zu gern kommentiert sie ihre Mitmenschen und deren kleine Eskapaden. Ist sie einmal voll des Lobes für die Schlagfertigen oder Intelligenten, bekommt ein anderes Mal der Ungeschickte einen spitzfindigen Seitenhieb ab.

Das Buch ist ausgesprochen vielseitig in seiner Sprache und Atmosphäre. Wird eine neue Jahreszeit geradezu meditativ beschrieben oder eine Facette der Natur bewundert, folgt gleich darauf das bunte Treiben einer Damenrunde. Oft schimmert dabei Sei Shonagons eigene Stimmung durch ihre Texte. Wir erleben wenn sie verstimmt, irritiert oder verärgert ist und schmunzeln, wenn sie besonders wohlgesonnen erzählt, liebevoll berichtet oder gewitzt unterhält. Ich habe mich zuweilen wohlig an ihren Worten gewärmt oder diebisch über ihre Sticheleien gefreut. Wichtige Gedanken lässt sie wie kleine Funken in den Erzählungen aufblitzen und verleiht ihnen das nötige Gewicht. Obwohl ihre Zeilen nun schon an die 1000 Jahre alt sind, kommen sie erfrischend ungekünstelt und klar daher – Keinesfalls eine Selbstverständlichkeit, aber eine sehr willkommene Abwechslung!

Kopfkissenbuch Cover Insel

© Cover: Insel Verlag, 2016

Sei Shonagons Welt könnte uns vielleicht zu fern und sehr fremd erscheinen. Doch ihre kleinen Episoden sind so geschickt und vielschichtig verfasst, dass ich jetzt einfach mal behaupte, jeder könnte an ihnen seine wahre Freude haben. Bekommt ein ganz unbekümmerter Neuling das Kopfkissenbuch in die Finger, wird er sich an dem großartigen Panorama einer unbekannten Welt kaum satt lesen können. Kennt der Leser aber den ein oder anderen Kontext, ist er umso mehr entzückt über viele Andeutungen und hintersinnige Bemerkungen. Das lädt gleichzeitig auch immer wieder ein, doch noch einmal einen Blick ins Buch zu werfen, ob eine der Erzählungen nicht dieses Mal ganz anders klingt. Gerade der Aufbau in Abschnitten macht es dabei möglich einfach aufzuschlagen und loszulesen. Wer sich nicht gleich ganz auf die Reise in die Vergangenheit einlassen möchte, für den gibt es, neben den schönen, kleinen und großen Gesamtausgaben, zum Beispiel auch ein kurzes Buch an ausgewählten Geschichten in der Insel-Bücherei (noch ein Grund mehr, diese heiß und innig zu lieben). Doch egal ob Hals über Kopf oder mit der Zehenspitze zuerst wünsche ich mir für alle Leser der Sei Shonagon: Einmal Kopfkissenbuch, immer wieder Kopfkissenbuch.

Bettina

Autorin: Sei Shonagon
Buchtitel: Kopfkissenbuch
Verlag: zum Beispiel Manesse Verlag oder Insel Verlag

4 Gedanken zu “Mit spitzem Pinsel durchs Leben

  1. sommerdiebe schreibt:

    Cool, das steht bei mir auch noch ungelesen im Schrank. Hab es mal günstig auf einem Bücherflohmarkt abgestaubt 😉 Muss ich ja wirklich mal bald lesen, deine Rezension klingt ja sehr vielversprechend 🙂

    • Bettina schreibt:

      Das schöne ist ja, dass man sich nicht zwangsweise auf ein Mal mit dem Werk in seiner ganzen Länge abrackern muss. Ich finde jeder kleine Abschnitt lässt sich wunderbar zwischendurch lesen und erlaubt es direkt ein wenig abzutauchen. Ich kann dich also nur ermutigen: Einfach aufschlagen und ein Stück lesen.

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