
© Foto: Markus, 2016
Bestimmt verbindet jeder Bücherwurm mit seiner Kindheit einen bestimmten Autor oder ein Werk, das ihn besonders geprägt hat. Ich wuchs zum Beispiel mit Nils Holgersson und natürlich mit der Harry Potter-Reihe auf. Aber eine einmalige Verbindung habe ich zum Werk von Stephen King. Speziell der Clown Pennywise aus ES hat mich als Jugendlicher das Gruseln gelehrt. Der 1500 Seiten dicke Wälzer bietet über den Schrecken hinaus aber auch noch eine wunderschöne Geschichte über die Kindheit in all ihren Facetten, Freundschaften und deren Vergänglichkeit sowie was es bedeutet, erwachsen zu werden.
Bei ES handelt es sich um das namenslose Böse, das alle 27 Jahre über einen längeren Zeitraum die Kleinstadt Derry in Maine heimsucht. Dabei macht sich ES den kindlichen Fantasiereichtum zu Nutze und taucht als die Kreatur auf, vor welcher sich der jeweilige Heranwachsende am meisten fürchtet. Vor allem aber tritt das namenlose Böse als der Clown Pennywise in Erscheinung. Im Sommer 1958 verbündet sich der stotternde Bill Denbrough, dessen Bruder auf grauenvolle Art und Weise durch den Clown Pennywise ums Leben gekommen ist, mit sechs anderen Außenseitern und versucht, dem Ursprung des Bösen in Derry näher zu kommen. Die Geschehnisse lassen die Freunde auch 27 Jahre später nicht los und so beschließen sie sich erneut dem Grauen der Kleinstadt in Maine zu nähern.
ES hat mich von der ersten Seite an in seinen Bann gezogen und begleitet mich bis heute. Obwohl Stephen King früher häufig als Horror-Autor abgestempelt wurde, vermag er einfach etwas, was vielen Schriftstellern nicht gelingt: eine gute bildhafte Geschichte zu erzählen. Die Leser tauchen in die Erzählwelt des Verfassers ein und können den beschriebenen Ort mit all seinen kleinen Straßen und Flüssen förmlich sehen und das Abwasser der Kanalisation riechen. Stephen King besitzt vor allem in seinen älteren Büchern eine unheimlich dichte Erzählweise, die von vielen Kritikern als extreme Längen bezeichnet wurden. Jedoch werde ich erst dadurch in Kings Welt von ES vollkommen hineingezogen. Bereits der erste Satz gibt einen guten Einblick in den besonderen, atmosphärischen Schreibstil des Autors.
Der Schrecken, der weitere achtundzwanzig Jahre kein Ende nehmen sollte – wenn er überhaupt je eine Ende nahm -, begann, soviel ich weiß und sagen kann, mit einem Boot aus Zeitungspapier, das einen vom Regen überfluteten Rinnstein entlangtrieb.
Stephen King, ES, S. 11
Vor allem die sieben Protagonisten Bill, Ben, Stanley, Richard, Eddy, Beverly und Mike, werden von Stephen King wunderbar gezeichnet. Sie alle haben den Status als Außenseiter gemeinsam und nennen sich deshalb Club der Verlierer. Dabei schafft es der Autor, den Charakteren solch eine Tiefe zu verleihen, dass der Leser denkt, er wäre mit ihnen aufgewachsen. Das liegt auch daran, dass er jeder Figur ganze Kapitel gewidmet hat, die sich nur mit deren Herkunftsgeschichte und Problemen sowie Ängsten beschäftigen. Diese detaillierten Beschreibungen führen dazu, dass der Leser mit den Charakteren mitfiebert.
Eine weitere Besonderheit ist die Erzählweise der Geschichte, die in zwei unterschiedlichen Zeiten spielt: das Jahr 1958, das exemplarisch für die Kindheit der Protagonisten steht und das Jahr 1985, in dem sich der erwachsen gewordene Club der Verlierer wiedertrifft, um sich seiner Vergangenheit zu stellen. Diese beiden Zeitstränge werden parallel erzählt.
Leider besitzt ES das Problem, das auch viele von Kings anderen Büchern kennzeichnet. Während er sich auf den ersten 1200 Seiten wirklich viel Zeit für seine Charaktere und den Ort Derry nimmt, überschlagen sich auf den letzten 300 Seiten die Ereignisse. Hier stehen die actionreichen Momente zu sehr im Vordergrund und die Geschichte mündet in einem für mich weniger zufriedenstellenden Finale.
Von dem Buch gab es 1990 eine zweiteilige TV-Verfilmung mit einem tollen Tim Curry als ES. Leider reicht sie aber meiner Meinung nach bei weitem nicht an die Komplexität und die dichte, langsame Erzählweise der Vorlage heran. Im September 2017 soll ebenfalls in einem Zweiteiler Bill Skarsgård als Clown Pennywise sein Unwesen in Derry treiben. Auch wenn ich sehr skeptisch bin, dass die umfangreiche Geschichte in zwei Teilen erzählt werden kann, bin ich gespannt auf die Verfilmung.
Trotz des letzten etwas schwächeren Teils zählt ES definitiv zu meinen absoluten Lieblingsbüchern. Wenn möglich, versuche ich mindestens alle zwei Jahre im Sommer in die Welt von Derry abzutauchen. Dabei fiel mir auch auf, dass das Werk ein Erwachsener ganz anders liest, als ein Jugendlicher. Häufig habe ich mich in den letzten Jahren während des Lesens erwischt, wie die Melancholie mich übermannte. Und dass uns Erwachsenen zwangsläufig vieles verloren geht, was die Kindheit so auszeichnete – allem voran die Jugendfreunde und die Fantasie.
Er erwacht aus diesem Traum und kann sich nicht mehr genau daran erinnern; er weiß nur, dass er geträumt hat, wieder ein Kind zu sein. […] er denkt, dass es schön ist, ein Kind zu sein, dass es aber auch schön ist, erwachsen zu sein und über das Mysterium der Kindheit nachdenken zu können.
Stephen King, Es, S. 1533
Autor: Stephen King
Buchtitel: ES
Verlag: Wilhelm Heyne Verlag
vor pennywise habe ich keine angst . um ehrlich zu sein kenne ich den Film seit ich 6 bin . Aber danke für die erzählung vom „der gruselige clown der welt” PS:gut erzählt