Eine Flut an Gedanken

Cover Auf der Placa del Diamant

© Foto: Bettina, 2017

Auf der Suche nach einem Buch für diesen Weltenbummler-Monat machte ich mich zielstrebig daran vielerlei Listen mit Übersetzungen aus dem Spanischen zu konsultieren. Bis mir der Gedanke kam, dass​ in Spanien ja keineswegs nur diese eine Sprache gesprochen wird. Auch auf Galicisch, Baskisch oder Asturisch muss doch geschrieben, gedichtet und erzählt werden! Bei der darauffolgenden zweiten Suche stolperte ich dann schließlich über ein Schwergewicht der katalanischen Literatur: Auf der Plaça del Diamant von der Autorin Mercè Rodoreda. Der 1962 erstmals veröffentlichte Roman ist inzwischen in Katalonien in zig Auflagen erschienen, wird von Autoren wie Gabriel García Márquez geradezu verehrt und scheint dennoch im Rest von Spanien und dem Ausland recht unbekannt zu sein. Ein Umstand, der keineswegs so bleiben sollte.

Eine junge Frau aus einfachen Verhältnissen lernt beim Tanzen in Barcelona einen Mann kennen. Sie ist etwas naiv, unterwürfig und wenig selbstständig. So bemerkt sie zu spät, was für ein unsäglicher Dreckskerl sich da an sie heranschleicht. Eine Beziehung entspinnt sich, es wird geheiratet und Kinder kommen auf die Welt. Nun schon etwas älter, lebt sie mit seinen Schnapsideen, der schweren Arbeit und dem fehlenden Respekt. Doch als der Spanische Bürgerkrieg ausbricht, ändert sich auch ihr Leben. Ihr Mann fällt im Krieg und nun muss sie allein zurecht kommen.

Wirklich sympathisch ist unsere Heldin besonders auf den ersten Seiten nicht. Zu unterordnend ist ihr Verhalten, zu einfach lässt sie sich auf die jähzornige Art und die Eifersucht ihres Mannes ein. Der übernimmt ihr Leben derart, dass er nicht einmal vor ihrem Namen halt macht. Heißt sie eigentlich Natàlia tauft ihr zukünftiger Ehemann sie prompt in Colometa um. Immer mehr wird sie von ihrer Umgebung eingeengt, ihr Freiraum eingeschränkt. Nur wenig wehrt sie sich dagegen, auch wenn gelegentlich ihr sehr trockener Witz durchblitzt. Auch die anderen Figuren werden mit diesen unbequemen Ecken und Kanten dargestellt. Von der kauzigen älteren Senyora Enriqueta, über ihre späteren Arbeitgeber, bis hin zu den Kumpanen von Natàlias Mann, Cintet und Mateu. Mercè Rodoreda versteht es dabei meisterhaft, die Balance zwischen ihrer realistischen Darstellung und den Typen, die ihre Figuren repräsentieren, zu halten.

Mitfühl erregt Natàlia trotzdem, denn es sind ihre Gedanken, die der Leser mitverfolgt. In einem kontinuierlichen Strom an Beobachtungen, Erinnerungen und erzählten Gesprächen lässt uns Mercè Rodoreda in ihre Welt eintauchen. Häufig wird dabei direkte zur indirekten Rede gewandelt und Nebensatz in Nebensatz gepackt. Erstaunlicherweise bleibt das Buch trotz der Verschachtelung sehr flüssig lesbar. Muss es auch sein, denn in einigen der wirklich beklemmenden Passagen während der Not im Krieg hätte ich es sonst gar nicht geschafft weiterzulesen. Ohne Gemetzel bringt die Autorin da in einigen Abschnitten wirkliche Verzweiflung aufs Papier, nur um in anderen Szenen das Vibrieren der Stadt oder den Atem von Natàlia geradezu aufs Blatt zu hauchen.

Bringt der Gedankenstrom den Leser in die Welt von Natàlia, so hilft die Symbolik sie zu verstehen. Der Text ist durchdrungen von wiederkehrenden Bildern und mehrfach auftretenden Sätzen oder Vergleichen. In einigen Fällen sind diese Symbole sehr klar und doch vielschichtig, in anderen haben sie mich fast schwindelig zurückgelassen. Der Fluss der Gedanken treibt weiter, ohne dass mir klar war, was das Gelesene eigentlich bedeuten soll. Die besten der Bilder jedoch binden die vielen kleinen Episoden der Geschichte zu einem Ganzen zusammen. In diesen Momenten glaube ich gern, dass Generationen von Lesern das Buch in die Gruppe der auserlesenen Romane aufgenommen haben, die auch nach Jahren noch einen Platz in der Bibliothek haben.

Bettina

Autorin: Mercè Rodoreda
Buchtitel: Auf der Plaça del Diamant
Übersetzung: aus dem Katalanischen von Hans Weiss
Verlag: suhrkamp taschenbuch

6 Gedanken zu “Eine Flut an Gedanken

    • Bettina schreibt:

      Mit dem Gedanken anstatt dieses Buchs doch „Der Garten über dem Meer“ zu lesen hatte ich auch gespielt. Im Endeffekt konnte dann „Auf der Plaça del Diamant“ doch einige Extrapunkte für sich verbuchen: Es war nach allem was ich gelesen habe der Durchbruch von Mercè Rodoreda, man kann dieses Werk sicherlich denen ans Herz legen, die „Der Garten über dem Meer“ bei seiner kleinen Wiederentdeckung durch den Mare Verlag in den letzten Jahren schon gelesen haben, und (ein ganz persönlicher Pluspunkt) es wurde nicht mit Great Gatsby verglichen. Ist denn „Der Garten über dem Meer“ auch in dieser Art Bewusstseinsstrom geschrieben?

      • Lesen... in vollen Zügen schreibt:

        Ja… Eine Kollegin meinte auch, daß der „Placa del Diamant“ noch besser wäre, als der „Garten“, aber das waren letztes Jahr die letzten warmen Tage, da wollte ich was lesen, was mich in dieser Stimmung abholt.
        Bei „Der Garten über dem Meer“ erzählt ein alter Gärtner von den Bewohnern der Villa, die jeden Sommer am Meer verbringen. Mit jedem Jahr verändert sich das Verhältnis der Leute zueinander und es gibt kleine oder größere Dramen. Es ist wahnsinnig ruhig geschrieben mit sehr viel Platz für eigene Mutmaßungen. Ich war jedenfalls sehr froh, daß ich es mitgenommen hatte, aber den „Placa del Diamant“ muss ich irgendwann auch noch lesen.

      • Karoline schreibt:

        Grad am Wochenende habe ich im Dussmann diese Bücher in der Hand gehabt. Zum „Garten“ gibt es sogar ne total schicke Ausgabe mit Schuber, da haben meine Fingerchen schon zugreifen wollen. Ich setz die Autorin mal auf meine Liste 😉

  1. Bettina schreibt:

    Das stimmt, die Hardcoverausgabe ist richtig schmuck!
    Lustigerweise konnte ich mich nicht zwischen den vielen Ausgaben von „Der Garten über dem Meer“ entscheiden, denn jede hätte seine Vorteile gehabt. Es war also auch ein Pluspunkt für „Auf der Plaça del Diamant“, dass mir die Wahl hier leichter viel 😄

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