Mord und Folter in den Goldenen 20ern

© Foto: Karoline, 2018

Ob es überhaupt jemanden in Deutschland gibt, der noch nichts von der neuen Serie Babylon Berlin gehört hat? Ich wage es zu bezweifeln. Egal wohin mein Blick fiel, ob Kinoeingänge, Internetwerbung oder Plakatwände, überall lächelte mich das lasterhafte Leben der 20er Jahre an. Ich tat es als unnötigen Hype ab und wandte mich anderen Dingen zu. Bis ich vor einigen Wochen zufällig herausfand, dass die Serie auf einer Buchvorlage basiert. Zu diesem Zeitpunkt war ich der schillernden Mode des Goldenen Jahrzehnts schon längst verfallen. Nun sollte es also auch mit der Buchreihe von Volker Kutscher passieren. Ich war gespannt wie ein Flitzebogen.

Es ist das Jahr 1929. Kriminalkommissar Gereon Rath wurde gerade, nicht ganz freiwillig, von Köln nach Berlin versetzt. In Notwehr erschoss er einen Mann, und erntete damit einen bösen Zeitungsartikel nach dem anderen. Als die Lage unerträglich wurde, entschied sein einflussreicher Vater einen Wechsel in die Reichshauptstadt. Nun sitzt er hier, nicht in der Mordkommission wie in Köln, sondern in der lästigen Sitte und muss sich mit Schmuddelfotos herumschlagen. Währenddessen zieht die Berliner Mordkommission einen besonders mysteriösen Fall an Land. Ein Mann fährt mit seinem Auto über das Geländer einer Brücke und landet im Fluss. Natürlich ist er tot, doch mit dieser Leiche stimmt so einiges nicht. Dort wo der unbekannte Tote eigentlich Hände und Füße haben sollte, befinden sich nur noch blutige Klumpen. Wer hat diesen offensichtlich gefolterten und seit Tagen toten Mann im Auto über die Brüstung geschubst? Die Mordkommission tappt im Dunkeln. Einzig Gereon Rath erkennt den Unbekannten. War das nicht der, der neulich betrunken vor seiner Tür stand und mit russischem Akzent verlangte, seinen Vormieter sprechen zu wollen? Kurzerhand beschließt er auf eigene Faust zu ermitteln und sich auf diese Weise für einen Abteilungswechsel zu empfehlen. Doch er ahnt nicht in was für ein riesengroßes Wespennest er gestochen hat.

Was hätte ich nur verpasst, wenn ich mich diesem Hype konsequent widersetzt hätte! Volker Kutscher lässt den Leser in eine unglaublich aufregende Zeit eintauchen. Ob es nun eine Verfolgungsjagd auf dem Baugelände des neuen Karstadt-Gebäudes ist oder der Besuch geheimer Kinos und Vergnügungslokale, in denen sich barbusige Damen auf der Bühne rekeln. Die politischen Kämpfe in Form der blutigen Maidemonstrationen werden genauso authentisch beschrieben, wie die Neuartigkeit von Autos und Telefonanlagen. Die heute so wichtige Spurensicherung steckt noch in den Kinderschuhen, nicht jeder Polizist weiß wie er sich an einem Tatort zu verhalten hat. Und was war damals im Polizeijargon eigentlich ein nasser Fisch? Das gleiche, was wir heute wohl eher als Cold Case kennen, ein ungelöster Fall.

Wie in jedem großen Roman darf auch beim Nassen Fisch die Liebesgeschichte nicht fehlen. Gereon sieht gut aus, da ist es nicht verwunderlich, dass ich auch etwas über seine Eroberungen zu lesen bekam. Besonders die Stenotypistin seines Erzfeindes Wilhelm Böhm, leitender Mordermittler, hat es ihm angetan. Charlotte Ritter ist klug und wunderschön. Die Hälfte der Woche studiert sie Jura, den Rest der Zeit verbringt sie als Assistentin an Böhms Seite. Auch wenn Gereons Liebe schon fast etwas von Besessenheit hat, so hat mir die Liebesgeschichte doch sehr gut gefallen. Charlotte ist dabei auf ihre eigene Art genauso eigensinnig wie der Kommissar. Überhaupt arbeitet Volker Kutscher seine Figuren bis hin zu den kleinsten Nebencharakteren äußerst markant und mit Liebe zum Detail aus. Jedes Mal, wenn bei den Akteuren der kernige Berliner Dialekt zum Zuge kam, musste ich sehr in mich hineinlachen. Die Berliner Schnauze hat sich in all den Jahrzehnten kaum geändert.

Auch wenn der Fall mit der Zeit immer undurchsichtiger und abstruser wird, so war die Geschichte wirklich sehr gut konstruiert und schlüssig beschrieben. Volker Kutscher hatte wirklich große Ambitionen, als er sein Erstlingswerk schrieb – und es ist ihm ausgezeichnet gelungen. Er konnte mich mitreißen und für dieses spannende Zeitalter nachhaltig begeistern. Teil zwei und drei stehen demnach schon in meinem Regal und wollen verschlungen werden. Insgesamt sind bisher sieben Bände erschienen, ein Ende ist also (zum Glück) nicht in Sicht. Und die nicht weniger aufregenden 30er Jahre stehen Gereon und Charlotte erst noch bevor.

Karoline

Autor: Volker Kutscher
Buchtitel: Der nasse Fisch
Verlag: Kiepenheuer & Witsch

4 Gedanken zu “Mord und Folter in den Goldenen 20ern

  1. moopenheimer schreibt:

    Und, was gefällt dir besser? Die Romanreihe oder die vermurkste Serie? Letztere besticht zwar durch ihre sensationelle Ausstattung mit Requisiten, aber die Story ist versaut. Schade!

    • Karoline schreibt:

      Huhu, ich muss dir gestehen, dass ich bis jetzt nur das Buch gelesen habe. Die Serie steht zwar noch auf dem Plan, aber als ich damit beginnen wollte, waren die ersten Folgen aus der Mediathek schon wieder entfernt… Da heißt es also warten, aber wenn du meinst, dass sie so vermurkst ist, hab ich wahrscheinlich auch nicht viel verpasst 😉 da fang ich vielleicht lieber direkt den zweiten Band an, der steht schon im Regal bereit!

      • moopenheimer schreibt:

        Das ist definitiv die bessere Wahl! Wenn ich dir verrate, dass Herr Marlow nicht mal mitspielt, ist das bestimmt nicht doll gespoilert. Aber gerade er ist meiner Meinung nach ein wichtiger Charakter der Geschichte.

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